Montag, 19. Juni 2017

Erster Einbruch ins Establishement des Literaturbetriebes

Ja, selbst ich war nicht immer ein Schreibbohéme, der coole Autor, der Titel wie "Kleinstadtrebellen" schrieb. Auch ich wollte einmal dazugehören: Zu den großen Literaten, anerkannt als echter Schriftsteller. Mit nichts im Gepäck außer der Selbstdarstellungssucht und einem Laptop reiste ich nach Schrobenhausen zu einer gewissen Lisa. Bei Lisa handelte es sich nicht um die Spargelkönigin, sondern um eine nicht weniger attraktive Sommerakademie für Schreibende, organisiert von einem gewissen Arwed Vogel. Ich kannte Herrn Vogel nicht, ich kannte keinen der Dozenten, ich wollte einfach nur dazugehören zu den Schriftstellern. Der Kurs von Norbert Niemann wäre meine erste Wahl gewesen. Niemann wohnte immerhin im Nachbardorf. Was er so schrieb wusste ich nicht. War auch egal, weil sein Kurs leider voll war. Also schrieb ich mich bei einer Ursula Krechel ein.
In der schier unerschöpflichen Hoffnung, als sensationelles Literaturgenie entdeckt zu werden und viele junge Autorenkollegen/innen kennenzulernen, reiste ich nach Schrobenhausen. Ich denke, es ist kein großer Spoiler zu verraten, dass mein Durchbruch noch auf sich warten lässt und ich das Alter der anderen Teilnehmer - wie es mir noch viele Male passieren sollte, um einen Jahrzehntbetrag im mittleren einstelligen Bereich unterschritt.
Die Werkstatt an sich wiederum war sensationell gut. Schon  nach wenigen Minuten kaufte die charismatische Schreibdozentin mir sämtlichen Schneid ab, als sie die ersten vorgetragenen Texte der Autorenkolleginnen virtuos und schonungslos in die Tonne der Belanglosigkeit pfefferte. Als es gleich im ersten Text um eine Beschreibung des "Garten meines Lebens" ging und ich mir die imaginäre Pistole des Grauens längst an die Schläfe gehalten hatte, überraschte mich Frau Krechel also mit schneidender Textkritik und der vernichtenden Beurteilung: "Dies ist keine Erzählung." Was es dem überambitionierten Nachwuchsautor nicht gerade leichter machte, hatte ich etwa was besseres in der Tasche stecken? Ich versteckte mich in der Gruppe, was nicht so schwer war, weil anscheinend alle Schriftsteller an Selbstdarstellungssucht leiden und sich die anderen weiterhin mit Begeisterung ans Schafott begaben.
Am dritten Tag stellte Frau Krechel eine an sich lapidare Schreibaufgabe, die wiederum in mir einen Schreibprozess auslöste, der mich bis heute fasziniert. Sie gab mehrere Schreibszenarien in Form eines kurzen Absatzes vor. 
Unter anderem folgenden: 

Der Sommer war lang und staubig, ein Sommer, in dem die verschwitzte Bettwäsche dauernd gewechselt werden musste. Oder bildete er sich das ein? Oder bildete er sich ein, er wünschte sich solche Wechsel, weil er diesen Sommer mit einem früheren verwechselte?

Was hättet Ihr aus der Vorgabe gemacht? Ich war mit dem Vorsatz gekommen, seriös zu schreiben, gänzlich auf alle Texte die etwas mit Subkultur, Popliteratur, Alkohol und Frauen zu tun hatte zu verzichten. Doch nach Tagen intellektueller Debatten im krassen Gegensatz zur Lebenswirklichkeit der studentischen WG in der ich in Schrobenhausen untergebracht war, begann etwas in mir zu brodeln. War es nicht die wilde, die leidenschaftliche Literatur die ich als gut empfand? Wollte ich wirklich "große Literatur" erschaffen und somit alle meine Leser die ich schätzte in ein Koma der Langeweile versetzen?
Während eines frühmorgendlichen Laufens entlang der Paar ins "Goachad", des Naturschutzgebietes entlang der Paar, setzte sich ein Szenario zusammen, das alle Themen die mich in diesem Lebensabschnitt bewegten, beinhaltete: Ein Junge der in zwei Mädchen verliebt war, einen Sommer lang zu viel trank und nach wilden Partys am Ufer des Flusses bald beide Mädchen nicht mehr auseinanderhalten konnte: Alles verschwamm. 
Um das Verschwimmen anzudeuten, fügte ich Ursula Krechels Satz an den Beginn jedes Unterkapitels der Erzählung. 
Drei Stunden hämmerte ich auf meine Tastatur ein und am Nachmittag musste ich vortragen. Ursula Krechel korrigierte jedes Adjektiv das nicht treffend war und meine Niederlage episch. Es war eine schlecht dahingerotzte Geschichte. Aber es war meine Geschichte. MEINE! Und ich war verliebt in sie! Die Geschichte, meine ich.
Und das allerseltsamste war, dass nach zwei Tagen des Überarbeitens Ursula Krechel den Text gelten ließ. Keine Vernichtung, keine Tonne. Ich trug "Paartanz" am letzten Abend im illuminierten Pflegschloss von Schrobenhausen vor und fühlte mich ein erstes Mal wie ein anerkannter Schriftsteller. Und was machte der nun anerkannte Jungautor? Ging er mit Norbert Niemann und Arwed Vogel an die Bar, um über Manierismus zu plaudern? Ließ er sich von Ursula Krechel für seinen leidenschaftlichen Vortrag loben? Nein, er machte einen stillen Abgang, betrank sich erst mit dem Gratis ausgeschenkten Sekt, schaute dem intellektuellen Establishement noch eine Weile verwundert und achselzuckend zu und flüchtete schließlich mit seinen Kumpels auf das Schrobenhausener Volksfest, wo es wenigstens ein gescheites Bier gab. In der gleichen Nacht beschloss er, die "Kleinstadtrebellen" fertig zu schreiben.
Ach ja, Jahre später hat mir Arwed übrigens gesteckt, dass Ursula Krechel damals eine "literarische Begabung" in mir gesehen hätte. Da traute ich mich aber nicht mehr, ihr zu schreiben. Denn inzwischen hatte sie den Deutschen Buchpreis gewonnen und ich hatte nach Lektüre einiger ihrer Gedichte begriffen, was für ein literarisches Großkaliber der Kleinstadtrebell damals kennenlernen durfte...


So, was waren Eure größten Sternstunden oder größten Katastrophen als Jung-Autor? Verzählt's mal! 

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