Donnerstag, 24. November 2016

Früher war mehr Anthrazit

Ich nehme Fabians Anfang mal als Anlass, mir ebenfalls ein bisschen Vergangenheitsarbeit anzutun. Solche Anfänge sind ja immer auch ein Blick zurück, bevor man sich nach vorne rettet, also habe ich mir einen Vormittag geschnappt und alte Texte ausgegraben, widerwillig gelesen, umgeschrieben, zeitweise verzweifelt, habe mein früheres Ich zwischenzeitlich ziemlich peinlich gefunden, einen ganzen Absatz für immer gelöscht, panisch "löschen rückgängig machen"geklickt, nur um ihn dann endgültig zu verwerfen, mit dem Anspruch: Längen kürzen, Handlung straffen, Sprache aufrauen, Pathos minimieren, und am Ende standen da zwei frisch polierte neue Absätze, von wegen alles auf das Wesentliche reduzieren. Manchmal muss man einsehen, dass ein Text sich damals genau richtig angefühlt hat und mittlerweile nichts mehr davon übrig ist, dann muss man das akzeptieren und ihn im Imperfekt stehen lassen ohne fieberhaft zu versuchen, das Gefühl mit neuen Sätzen zurückzuholen. Und relativ selten gibt es Texte, die irgendwie immer gültig bleiben und ihre Aussage über die Zeit retten, vielleicht weil sie etwas beschreiben, das man immer wieder erlebt oder zumindest in ähnlicher Form erleben könnte, egal ob man frisch 18 oder mittlerweile 26 ist, vielleicht weil sich an der Situation, dem Gefühl, den Umständen seitdem fast nichts verändert hat und die Vergangenheit immer noch in die Gegenwart hineinragt, aber egal warum, das sind die Texte, an denen man noch ein paar Kleinigkeiten ändern kann, die einem vor ein paar Jahren noch nicht aufgefallen sind, aber im Grundriss bleiben sie genau so stehen, wie sie von Anfang an waren, wehren sich sogar ein Stück weit gegen Veränderung, im Zweifel wüsste man auch gar nicht, wie man sie umschreiben sollte ohne das Gerüst einzureißen. Diese Texte sind wie Lieblingssongs, die man über Jahre anhören kann ohne dass sie sich abnutzen würden.

Viel zu viel Vorrede für einen ziemlich kurzen Text, der sich nicht umschreiben ließ:


Studie in Anthrazit

Nur einen Monat. Vielleicht wenn wir mehr gehabt hätten, etwas mehr als einen angebrochenen Sommer in der Stille Colorados. Vielleicht wären wir dann mehr gewesen, mehr wie wir und weniger wie Shakespeares Helden, zermürbt zwischen Mühlen.
Keine Bilder von Liebe. Nur vereinbarte Unzulänglichkeit, still fließend im Schatten. Wir ließen uns schweigen für jetzt, Hand in Hand, aber immer knapp vorbei, vorbei an Verständlichkeit. Und das Glimmen in meinem Mund, wie ein unregelmäßiges rötliches Atmen. Meine Asche auf ihrem Kleid. Brandlöcher, die seltsam klaffen. Polyesterreste, kalter Stoff an meiner Haut. Ich wollte mich in Wolle festkrallen, dickfasrig und kratzig, aber warm dafür. Ich wollte müde sein dürfen. Benzingetränkte Luft. Die Wolken schlugen Wellen im Blau, und ihre Augen waren blinde Stürme.
„Das wars also“ sagte ich und sie nickte nur, mit einem heimlichen Blick Richtung Uhr, aber es war immer gleich spät, und wir wussten beide, dass man bei Abschieden nichts richtigmachen kann, nur schon existente Gräben verbreitern. Und unserer reichte bis knapp hinter den Horizont und dann noch ein Stückchen weiter, weit genug jedenfalls, um mit gutem Gewissen jeden noch so kleinen Hoffnungssplitter aus dem Kopf zu operieren. Aber sie, sie hatte die Hoffnung in ihrem Blick vergessen, neu gemischt mit stiller Wut und Fragen, aber ich, ich war schon lange nur noch müde, viel zu müde für Erklärungen.
Das warme Kratzen im Hals, blauer Rauch schwärmte die Bronchien hinab, ich drückte die abgebrannte Zigarette am Bordstein aus und schnippte sie weg, griff hastig nach meiner Tasche. Ein leises Zischen in der Nähe, hydraulisches Atmen und staubende Reifen. Ein grauer Streifen im Augenwinkel, kleiner werdend. Die Leute starrten uns längst an wie ausgestellt, hinter ihren talgverschmierten Plexiglasscheiben verschanzt. Der Busfahrer warf seinen leeren Pappkaffeebecher weg und stieg ein. Ihre Hand zuckte leicht bei dem Geräusch des aufflackernden Motors, ein zittriges Grollen aus blechernem Bauch. Verkrampfte. Ihr Puls in meiner Hand. Ich versuchte zu lächeln, und ließ es schnell wieder sein.
„Schätze, es geht los“, sagte ich leise.
„Nein“, sie schüttelte langsam den Kopf ohne mich anzusehen „nein, alles hört auf“

Abblätternder Lack, darunter nackter Rost. Sie hatte ihre Haare zusammengebunden. Ihre Grübchen fast verstrichen. Ich ließ ihre Hand los. Wir umarmten uns, ihr müder Kopf an meinem Kinn, die feuchten Wimpern wie ein zartes Schlagen von Schmetterlingsflügeln an meiner Haut, zwei Zentimeter schräg rechts über meinem Brustbein. Ich atmete sie ein letztes Mal ein. Ihr Haar roch wie kalt gewordener Kaffee, schal und bitter. Wir küssten uns nicht, nicht mal flüchtig auf die Wangen wie gute Freunde, als hätten wir unsere Rollen am Ende nur zurückgetauscht, nein, wir lösten uns wie Fremde aus einer überstürzten Umarmung. Ich stieg ein. Der Bus fuhr an, während ich noch durch die Reihen nach hinten ging. An der Ausfahrt sah ich sie ein letztes Mal, schräg von oben, halb im Profil. Sie hob eine Hand zum Winken, ließ sie steif wieder sinken. Ich schloss die Augen und machte sie erst wieder auf, als ich sicher war, dass wir längst auf der Autobahn sind. Die Stadt zeichnete sich anthrazitfarben in der Ferne ab und die Sonne taumelte im Sinken schräg in den Bus hinein ohne Wärme zu spenden. Ich legte den Kopf an die Scheibe und bevor ich einschlief, sah ich gerade noch, wie die Welt draußen hinter den Gebirgen Stück für Stück im Blau ertrank, so viel schneller als sonst.



8 Kommentare:

  1. Ich mag den Text.
    Ich hatte nach dem Vorwort den Gedanken, ob man Texte vielleicht nicht mehr ändern dürfen sollte, wenn man sie grundsätzlich abgeschlossen hat.
    Es hatte sicher einmal Sinn und einen Grund, dass vorher die Sprache vielleicht noch zarter daher kam und die Handlung mit Längen und noch mehr Pathos verfasst wurde. Ein unveränderbarer Text als eine Art Zeitzeuge, als Beweis dafür, dass man nicht still steht.
    Einen Text nach langer Zeit zu überarbeiten, kommt mir vor, als ob man am Ende einer Beziehung bereut, dass man vor Jahren jedes Wochenende nach Hause gefahren ist, statt sich auszuleben. Damals war es genau richtig so. Heute ist heute.
    Ich frage mich bei dem Gedanken auch, ob (erfolgreiche) Autoren für sich selbst schreiben oder für den Leser? Oder am Ende für den Text?

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  2. Ab jetzt wird es also richtig spannend: Wir kriegen nicht nur eindrucksvoll geschriebene Texte zu lesen, sondern auch noch ein paar interessante Hintergrundinformationen, die den Text nun in mehreren Dimensionen lesenswert machen. Der Text hat mich mal wieder sprachlich umgehauen, erzählerisch allerdings enttäuscht. Bis ich im zweiten Absatz über die "Bilder der Liebe" gestolpert bin. Klar, es ist nur ein Bild. Ein kleines Bild. Vielleicht eines aus einem umfangreicheren Album. Vielleicht gibt es noch mehr Bilder. Aber es ist ein besonders einprägendes Bild, ein trauriges Bild. Eines, das man sich noch öfter wehmütig anschauen wird.

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  3. ...da kann man mit einem einzigen fehlenden Wort aus einer eigentlich positiven Kritik eine Textvernichtung machen. Eigentlich wollte ich schreiben, dass mich der Text "erzählerisch ZUNÄCHST enttäuscht hatte". Denn manchmal reicht ein zweiter Lesedurchgang und man bekommt ein besseres Gefühl für die Intention des Autoren zu bekommen. Also relativiere ich meine "Enttäuschung", da sie durchaus in einen "Aha-Effekt" umgeschlagen hat! Soviel zu meinen Lektionen in Sachen unachtsame Rezensionen...

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  4. Mir sind die erklärende Nachschübe way to much: "zermürbt zwischen Mühlen" "viel zu müde für Erklärung" "schal und bitter" ... so was würde ich rausstreichen (und so einige Adjektive), da sie dem ganzen Drive nehmen und bei mir so ein Ich-versteh-das-doch-WARUM??-Gefühl auslösen. Sonst sind mir zuviel Farben für den Titel "Studien in Anthrazit" drin, weil auch die Grundstimmung nicht grau ist... kann man aber sicherlich einen schönen Text drauß machen, einen flüchtigen Gefühlsausdruch

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  5. Ah, der Schrei-Bader ging also in die Haifischbecken-Schreibschule! Natürlich hast Recht, aber wenn alle sagen: Adjektive gehören raus!, schreie ich zurück: Die schönen Adjektive will ich aber behalten! Ansonsten halte ich mich ab jetzt lieber aus der Diskussion raus, weil ich nicht weiß, was Anthrazit für eine Farbe ist. Ich bin doch farbenblind!

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  6. War ich zu böse und jetzt will niemand mehr?

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  7. Keine Panik, hatte leider nur keine Zeit auf die Kritik angemessen zu antworten. Kann die Anmerkungen nachvollziehen und hab jetzt tatsächlich den Text nochmal kritisch auf Überflüssiges abgeklopft und einige Sachen gekürzt, ist wohl immer problematisch über ein Gefühl zu schreiben, an dem man zu sehr hängt, dann wird man leicht blind für Selbstkritik. Klar kann man so einem Text nicht sämtliche Adjektive nehmen, da der Text ja streng genommen nur eine Sammlung von Momentaufnahmen und beschreibenden Elementen ist, während kaum Handlung stattfindet, aber erklärende Zusätze, die der Leser gar nicht braucht, müssen auf jeden Fall raus. In diesem Sinne: Danke fürs feedback

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  8. "Abblätternder Lack, darunter nackter Rost"... hatte ganz vergessen, dass man Deine Texte laut lesen muss, um die volle Musikalität genießen zu können!"

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