Viel zu viel Vorrede für einen ziemlich kurzen Text, der sich nicht umschreiben ließ:
Studie in Anthrazit
Nur einen Monat. Vielleicht wenn wir mehr gehabt hätten,
etwas mehr als einen angebrochenen Sommer in der Stille Colorados. Vielleicht
wären wir dann mehr gewesen, mehr wie wir und weniger wie Shakespeares Helden,
zermürbt zwischen Mühlen.
Keine Bilder von Liebe. Nur vereinbarte Unzulänglichkeit,
still fließend im Schatten. Wir ließen uns schweigen für jetzt, Hand in Hand,
aber immer knapp vorbei, vorbei an Verständlichkeit. Und das Glimmen in meinem
Mund, wie ein unregelmäßiges rötliches Atmen. Meine Asche auf ihrem Kleid.
Brandlöcher, die seltsam klaffen. Polyesterreste, kalter Stoff an meiner Haut.
Ich wollte mich in Wolle festkrallen, dickfasrig und kratzig, aber warm dafür.
Ich wollte müde sein dürfen. Benzingetränkte Luft. Die Wolken schlugen Wellen
im Blau, und ihre Augen waren blinde Stürme.
„Das wars also“ sagte ich und sie nickte nur, mit einem
heimlichen Blick Richtung Uhr, aber es war immer gleich spät, und wir wussten
beide, dass man bei Abschieden nichts richtigmachen kann, nur schon existente Gräben
verbreitern. Und unserer reichte bis knapp hinter den Horizont und dann noch
ein Stückchen weiter, weit genug jedenfalls, um mit gutem Gewissen jeden noch
so kleinen Hoffnungssplitter aus dem Kopf zu operieren. Aber sie, sie hatte die
Hoffnung in ihrem Blick vergessen, neu gemischt mit stiller Wut und Fragen, aber
ich, ich war schon lange nur noch müde, viel zu müde für Erklärungen.
Das warme Kratzen im Hals, blauer Rauch schwärmte die
Bronchien hinab, ich drückte die abgebrannte Zigarette am Bordstein aus und
schnippte sie weg, griff hastig nach meiner Tasche. Ein leises Zischen in der
Nähe, hydraulisches Atmen und staubende Reifen. Ein grauer Streifen im
Augenwinkel, kleiner werdend. Die Leute starrten uns längst an wie ausgestellt,
hinter ihren talgverschmierten Plexiglasscheiben verschanzt. Der Busfahrer warf
seinen leeren Pappkaffeebecher weg und stieg ein. Ihre Hand zuckte leicht bei
dem Geräusch des aufflackernden Motors, ein zittriges Grollen aus blechernem
Bauch. Verkrampfte. Ihr Puls in meiner Hand. Ich versuchte zu lächeln, und ließ
es schnell wieder sein.
„Schätze, es geht los“, sagte ich leise.
„Nein“, sie schüttelte langsam den Kopf ohne mich anzusehen
„nein, alles hört auf“
Abblätternder Lack, darunter nackter Rost. Sie hatte ihre
Haare zusammengebunden. Ihre Grübchen fast verstrichen. Ich ließ ihre Hand los.
Wir umarmten uns, ihr müder Kopf an meinem Kinn, die feuchten Wimpern wie ein zartes
Schlagen von Schmetterlingsflügeln an meiner Haut, zwei Zentimeter schräg
rechts über meinem Brustbein. Ich atmete sie ein letztes Mal ein. Ihr Haar roch
wie kalt gewordener Kaffee, schal und bitter. Wir küssten uns nicht, nicht mal flüchtig
auf die Wangen wie gute Freunde, als hätten wir unsere Rollen am Ende nur
zurückgetauscht, nein, wir lösten uns wie Fremde aus einer überstürzten
Umarmung. Ich stieg ein. Der Bus fuhr an, während ich noch durch die Reihen
nach hinten ging. An der Ausfahrt sah ich sie ein letztes Mal, schräg von oben,
halb im Profil. Sie hob eine Hand zum Winken, ließ sie steif wieder sinken. Ich
schloss die Augen und machte sie erst wieder auf, als ich sicher war, dass wir
längst auf der Autobahn sind. Die Stadt zeichnete sich anthrazitfarben in der
Ferne ab und die Sonne taumelte im Sinken schräg in den Bus hinein ohne Wärme
zu spenden. Ich legte den Kopf an die Scheibe und bevor ich einschlief, sah ich
gerade noch, wie die Welt draußen hinter den Gebirgen Stück für Stück im Blau ertrank,
so viel schneller als sonst.